Der Gnade auf der Spur 7

Wer ist der Gnade würdig?


Gottes Gnade kennt keine Grenzen.

Wir sind in der Stadt Bethlehem. Rahabs Urenkel Isai bekommt Besuch vom Propheten Samuel. Er überbringt Isai die Botschaft, dass Gott einen seiner Söhne dazu erwählt hatte, der nächste König in Israel zu werden. Isai ruft alle seine Söhne zusammen, wie Samuel es gesagt hatte. Genauer gesagt holt er sieben seiner acht Söhne herbei. Sein jüngster Sohn David ist offenbar nicht aus dem Holz gemacht, aus dem man Könige schnitzt. Darum lässt er ihn weiter die Schafe hüten.
Samuel sieht sich die jungen Männer der Reihe nach an und unterhält sich kurz mit ihnen. Dabei hofft er, dass Gott ihn auf den Richtigen hinweisen wird. Doch das geschieht nicht.
Da stellt Samuel eine Frage, die Isai wohl sehr merkwürdig vorgekommen sein muss: »Sind das alle deine Söhne?« Doch wie sich herausstellte, war es genau die richtige Frage.
»Da ist noch mein jüngster Sohn, er hütet die Schafe.« bekam er zur Antwort. Samuel besteht darauf, dass David geholt wird, und zu jedermanns Überraschung ist er der Erwählte.
Jahwe hat sich einen Mann nach seinem Herzen gesucht und ihn zum Fürsten seines Volkes gemacht.
1. Samuel 13,14

Samuel nahm das Ölhorn und salbte David im Kreis seiner Brüder. Von diesem Tag an kam Jahwes Geist über David und verließ ihn nicht mehr.
1. Samuel 16,13; Neue evangelistische Übersetzung, 2025
Den letzten Satz des Bibelverses behalte im Hinterkopf.
David war nun ein »Gesalbter«, ein »Maschiach« oder »Messias«. Berufen, Gottes Botschafter in Israel zu sein. Davids Geschichte ist von Anfang bis Ende eine Geschichte der Gnade. Warum David? Was hatte er geleistet, dass er diese Ehre verdiente? Nichts, absolut nichts.
Der neue König hätte eigentlich der Sohn des alten Königs sein müssen. David stammte also nicht aus der richtigen Familie. Und doch hatte Gott gerade ihn ausgesucht, obwohl er weder aus der königlichen Familie stammte noch ein Erstgeborener war.
Viele Jahre später, nachdem David sich den Thron gesichert und alle Feinde besiegt hatte, wollte er Jahwe ein Haus bauen. Das war zwar eine gute Idee, doch aus Gottes Sicht war David nicht der Richtige, um sie umzusetzen. Der Prophet Natan musste ihm das sagen.
Doch gleich nach dieser enttäuschenden Nachricht machte Gott David ein Versprechen:
So spricht Jahwe, der Allmächtige: Ich selbst habe dich von der Schafherde weggeholt und dich zum Herrscher über mein Volk Israel gemacht.
Und wohin du auch gegangen bist, bin ich bei dir gewesen und habe alle deine Feinde vor dir beseitigt. Ich habe deinen Namen berühmt gemacht. Du wirst zu den Großen der Erde gezählt.
2. Samuel 7,8-9; Neue evangelistische Übersetzung, 2025
Gott gab David die Zusage, dass sein Name über seine Generation hinaus Bestand haben würde. Dann kam:
Und nun kündigt Jahwe dir an, dass er dir ein Haus bauen wird. Wenn deine Zeit abgelaufen ist und du gestorben bist, werde ich dir einen deiner eigenen Nachkommen auf dem Thron folgen lassen und seine Herrschaft festigen.
Der wird dann ein Haus für meinen Namen bauen. Und seinem Königtum werde ich ewigen Bestand geben. Ich werde sein Vater sein, und er soll mir Sohn sein. Wenn er Unrecht begeht, werde ich ihn mit menschlicher Rute und auf menschliche Weise züchtigen. Aber meine Gnade entziehe ich ihm nicht, wie ich sie Saul entzog, den ich vor dir beseitigt habe. Dein Königshaus und deine Königsherrschaft sollen für immer vor mir Bestand haben. Dein Thron steht fest auf ewig.
2. Samuel 7,11-16; Neue evangelistische Übersetzung, 2025
Gott versprach David, dass sein Reich für immer bestehen würde. Für immer. Für alle Zeiten. Im letzten Satz wird das besonders betont. Gott gab David und seinen Nachkommen ein Versprechen, weil er gnädig war, nicht weil sie sich ein Anrecht darauf erarbeitet hätten. Und es war ein bedingungsloses Versprechen. Keine »Wenn, dann«-Klausel war darin enthalten.
Die Juden verstanden diese Reihe von Verheißungen später so, dass der Messias, der Israel erneut zu einer großen Nation machen wird, aus Davids Linie stammen würde.
Als Matthäus die Geschichte von Jesus aufschrieb, fing er mit einer Ahnenreihe an. Er wusste, dass niemand die Behauptung, Jesus sei der Messias, ernst nehmen würde, wenn nicht eine unstrittige Verbindung zwischen Jesus und David hergestellt war.
Mit Jesus Geburt wurde das Versprechen, das Gott König David und seiner Familie gemacht hatte, erfüllt und zur Vollendung gebracht. Doch das sind nur Anfang und Ende der Geschichte. Interessant für uns ist der Mittelteil, der chaotische Mittelteil, der diese Geschichte zu einer Geschichte der Gnade macht.

David, der Hirtenjunge, wurde im ganzen Land berühmt, weil er Goliath getötet hatte. Er kam in die Dienste des Königs Saul. Davids Ruhm mehrte sich so sehr, dass mehr über ihn gesprochen wurde als über Saul. Das machte den König eifersüchtig und ärgerlich.
Gerade als David sich an das Leben am Königshof gewöhnt hatte, wurde er vom Sohn des Königs gewarnt, dass ein Anschlag auf ihn geplant wird. Dahinter stand König Saul höchst persönlich.
David flüchtete. Er versteckte sich in den Hügeln und Höhlen in der judäischen Wüste am Südrand des Toten Meers. In den folgenden vierzehn Jahren wurde David geächtet und gejagt. Wiederholt bewies David seine außergewöhnliche Treue Saul gegenüber und handelte wie ein Mann, der zum Herrschen geboren war.
Zweimal bot sich ihm die Gelegenheit, Saul zu töten. Er brachte sich in Gefahr, um die Landesgrenzen zu verteidigen. Manchmal aber übermannte ihn die Hoffnungslosigkeit. Dann trübte die Furcht seine Urteilskraft.
Bei einer tragischen Gelegenheit log David die Priester im Dorf Nob an, damit sie ihm Proviant für seine Schar der Vogelfreien gaben. Er behauptete, im Auftrag Sauls unterwegs zu sein. Daher halfen ihm die Priester sofort. Als Saul jedoch hörte, dass die Leute von Nob seinen Feind mit Nahrungsmitteln versorgt hatten, befahl er seinem Heerführer, alle Bewohner des Dorfs niederzumetzeln. Nur ein Mann, Abjatar, überlebte und setzte sich zu David ab, um ihm von dem Massaker zu berichten.
Obwohl David in diesem Fall die Situation völlig falsch eingeschätzt hatte, war er doch immer noch dazu bestimmt, König von Israel zu werden. Gott hatte es so gewollt. Er hatte es in dem Wissen gewollt, dass David sich seines Vertrauens nicht immer würdig erweisen würde. Er hatte es in dem Wissen gewollt, dass der Tag kommen würde, an dem David ihm mehr als ausreichend Gründe liefern würde, dieses Versprechen zurückzuziehen. Trotzdem galt dieses Versprechen. Denn es hing nicht von Davids Verhalten ab, sondern von Gottes Gnade.
Nachdem David jahrelang wie ein Straßenräuber gelebt hatte, bestieg er schließlich den Thron. Die Mehrheit des Volks erkannte Davids Recht auf die Thronfolge an. Nachdem er die Königswürde akzeptiert hatte, vereinigte er den losen Stammesverbund zu einer starken Nation. Er sicherte die Grenzen, unterwarf die heidnischen Nachbarvölker und eroberte die Gebiete, die Abraham verheißen worden waren. Er stärkte die Wirtschaft Israels und machte das Land zu einem Machtfaktor in der Region.
In genau jener Zeit, als David diese Erfolge für sich verbuchen konnte, schickte Gott Natan mit der Botschaft zu ihm, dass sein Königtum Bestand haben würde. Doch in jener Zeit traf David auch Entscheidungen, die seinen Ruf für immer geschädigt haben. Es waren Entscheidungen, gegen die Sauls Verfehlungen wie Strafzettel wegen Falschparkens wirkten.
Wer das Gesetz kannte, wusste genau, dass König David nach allem, was er in seinen besten Jahren getan hatte, eigentlich als König nicht mehr tragbar war. Und jeder, der persönlich miterlebte, wie David handelte, rechnetet wohl damit, dass Gott seine Verheißung nun zurückziehen würde. Doch das tat er nicht, denn an diese Zusagen waren keine Bedingungen geknüpft. Gott legte es nicht darauf an, einen Grund zu finden, sie zurückzuziehen, als David die ihm verliehene Stellung ausnutzte, um sich unrechtmäßige Vorteile zu verschaffen.
Die Geschichte von David und Batseba ist so bekannt, dass ich sie an dieser Stelle nicht in aller Ausführlichkeit erzählen muss. Deshalb will ich mich kurzfassen.
Eines Frühlings wurde das Heer der Israeliten in Marsch gesetzt, um eine feindliche Stadt zu belagern. In jenem Jahr entschied sich David jedoch, aus Gründen, die wir niemals erfahren werden, nicht mit in den Kampf zu ziehen, sondern in Jerusalem zu bleiben.
Eines Abends ging er auf dem Dach seines Palastes spazieren und entdeckte, dass in der Nachbarschaft eine junge Frau ein Bad nahm. Er rief einen Diener herbei, um zu fragen, wer sie war. Mit seiner Antwort hatte David vermutlich nicht gerechnet:
Das ist doch Batseba Bat-Eliam, die Frau des Hetiters Urija.
2. Samuel 11,3; Neue evangelistische Übersetzung, 2025
Diese Worte enthielten eine unterschwellige Warnung: Eliam, dein Freund, dem du vertraust, und dein Leutnant Uria setzen ihr Leben für dein Königreich aufs Spiel, und du blickst lüstern auf Tochter und Frau? David ignorierte die Botschaft zwischen den Zeilen und ließ Batseba holen, um sich mit ihr in seinen Privatgemächern zu treffen.
Wir werden nie erfahren, ob sich Batseba in dieser unglückseligen Affäre David aus freien Stücken hingab. Vielleicht war sie dazu nur allzu bereit. Vielleicht hatte sie auch Angst, dem König etwas abzuschlagen. Wir wissen lediglich, dass sie die Nacht mit David verbrachte und am nächsten Morgen nach Hause zurückkehrte.
Einige Wochen später ließ sie David eine Nachricht zukommen: »Ich bin schwanger.« Ihr Mann Uria war seit vielen Wochen nicht mehr zu Hause gewesen. David steckte also in Schwierigkeiten. Ihm standen nur zwei Möglichkeiten offen: Ehrlich zu sein oder sich mit Tricks durchzumogeln. David traf die Entscheidung, sich nicht seinem sündigen Tun zu stellen. Er vertraute auf seine Trickkiste.
Er rief Uria unter dem Vorwand, einen Lagebericht bekommen zu wollen, vom Kriegsschauplatz nach Hause und hoffte, das Problem wäre aus der Welt geschafft, wenn Uria einige Tage zu Hause bei seiner Frau schlief. Der Soldat jedoch entschied sich dafür, bei den Kameraden in der Kaserne zu schlafen.
Ab diesem Moment ging es für David nur noch um Schadensbegrenzung. Er tat etwas Undenkbares. Er schickte Uria mit einem versiegelten Schreiben für Joab, den Oberbefehlshaber des Heeres, zurück zum Kriegsschauplatz. David befahl Joab, Uria an die Front zu schicken und die Soldaten um ihn herum zurückzuziehen, wenn die Schlacht tobte. Für Uria war es das Todesurteil. David beging einen schrecklichen Machtmissbrauch. Es stiftete zum Mord aus niederen Beweggründen an. Joab führte den Befehl aus. Uria kam um.
Batseba spielte die trauernde Witwe, David den Freund und Tröster. Dann ließ er sie in seinen Palast holen und heiratete sie. David meinte, er sei mit einem blauen Auge davongekommen. Doch er hat dabei praktisch jedes einzelne der Zehn Gebote übertreten. Erinnerst du dich an die Aussage: Von diesem Tag an kam Jahwes Geist über David und verließ ihn nicht mehr?
Das klingt seltsam in diesem Zusammenhang, oder?
Die Menschen um David herum waren machtlos. Doch Gott war es nicht. Eines Nachmittags stattete der Prophet Natan dem Palast einen Überraschungsbesuch ab. Obwohl er David bei einer früheren Gelegenheit zugesagt hatte, dass Gott ihm für alle Zeit seine Gunst gewähren würde, hielt er ihm nun seine Sünden entgegen, und der König gab alles zu. Psalm 51 hält man für Davids öffentliches Sündenbekenntnis, nachdem ihm Natan seine Taten vorgehalten hatte.
Sei mir gnädig, o Gott – du bist doch reich an Gnade! In deiner großen Barmherzigkeit lösche meine Vergehen aus!
Psalm 51,3; Neue Genfer Übersetzung, 2011
David hatte begriffen, dass Rettung und Vergebung allein in Gottes unverbrüchlicher Liebe zu finden sind. Seine einzige Hoffnung war Gottes Gnade. David selbst konnte überhaupt nichts zu einer Versöhnung beitragen. Er war ganz und gar auf Gottes Gnade angewiesen.
Seine Reue war echt. Offenbar war er sehr unglücklich, was diese Sünde betraf. Jedoch hatte er keine andere Wahl, als darauf zu warten, wie Gott reagieren würde. David musste erfahren, dass Konsequenzen der Sünde und Gnade sich nicht gegenseitig ausschließen.
An jenem Tag nahm der Prophet Nathan kein Blatt vor den Mund. David hatte seine königliche Macht missbraucht. Das würde noch Generationen lang Konsequenzen haben.
Darum wird das Schwert auch von deiner Familie niemals weichen. Denn du hast mich verachtet und die Frau des Hetiters Urija zu deiner Frau gemacht. So spricht Jahwe: ‚Aus deiner eigenen Familie lasse ich Unglück über dich kommen. Unter deinen Augen werde ich deine Frauen wegnehmen und sie deinem Nächsten geben, dass er am helllichten Tag mit ihnen schlafen wird. Denn du, du hast es im Verborgenen getan, aber ich werde es in aller Öffentlichkeit vor ganz Israel tun.
Da sagte David zu Natan: „Ich habe gegen Jahwe gesündigt.“ Und Natan sagte zu ihm: „So hat auch Jahwe deine Sünde weggenommen, dass du nicht sterben musst.“
2. Samuel 12,10-13; Neue evangelistische Übersetzung, 2025
Das Kind erkrankte und starb. Doch das war nur der Anfang. In den folgenden Jahren wurde sein Leben von einer schier endlosen Serie von öffentlichen Skandalen geprägt.
Sein ältester Sohn Amnon vergewaltigte seine Halbschwester Tamar. Aus Gründen, die wir nicht kennen, unternahm David nichts. Zwei Jahre sorgte Absalom für seine Schwester Tamar und wartete darauf, dass David ihr zu ihrem Recht verhelfen würde. Doch als deutlich wurde, dass David die Sache auf sich beruhen lassen würde, ohne Gerechtigkeit walten zu lassen, ließ Absalom Amnon umbringen.
Weil er nicht sicher war, wie sein Vater auf den Mord an seinem Erstgeborenen und wahrscheinlichen Thronfolger reagieren würde, floh er aus dem Land. Als Absalom Jahre später nach Jerusalem zurückkehrte, bezog er offen Stellung gegen seinen Vater. Er wurde zum Kopf einer Verschwörung, um David vom Thron zu stoßen und an seiner Stelle über das Land zu herrschen. Er konnte sogar so viele Soldaten für sich gewinnen, sodass er es schaffte, Jerusalem einzunehmen und David in die Flucht zu schlagen.
Der Palast war nun unter seiner Kontrolle. Er errichtete ein Zelt auf dem Dach, in dem er mit Frauen seines Vaters schlief und so ein öffentliches Schauspiel daraus machte. Er begann David zu jagen, ganz ähnlich wie Saul viele Jahre zuvor. Ein Bürgerkrieg brach aus. Die Grenzen des Reichs waren gefährdet. Die Feinde Israels wurden kühner.
Dann drehte sich das Blatt und Absalom wurde wie ein Tier gehetzt und schließlich umgebracht, obwohl David ausdrücklich befohlen hatte, seinen Sohn lebendig gefangenzunehmen. David wird zu einer schmerzlichen Erkenntnis gelangt sein:
Als Mensch hatte er versagt.
Als König hatte er versagt.
Als Vater hatte er versagt.
Er hatte auch darin versagt, Gottes Botschafter zu sein.
Er hatte sich selbst über das Gesetz gestellt.
Abgesehen von Abraham war keinem Menschen so viel von Gott verheißen worden. Und niemand, nicht einmal Abraham, war von Gott so sehr gesegnet worden, was Reichtum, Macht und Prestige betraf. David musste erkennen, dass sich all das in einen größeren Zusammenhang einordnen ließ, denn er hatte Gott, der ihm so vieles gegeben und verheißen hatte, nicht vertraut.
Letzten Endes musste er sich selbst dafür die Schuld geben. Er hatte sich in jeder Hinsicht selbst disqualifiziert und von Gottes Segen abgeschnitten. So denken wir. Niemand hatte Gottes Gnade so sehr strapaziert wie er.
Und doch, Terrorismus, Lüge, Ehebruch, Mord usw. überstrapazierten Gottes Gnade nicht. Stimmt das, was Samuel gesagt hatte: »David – ein Mann nach Gottes Herz«?
Wenn Gnade endlich wäre, hätte Davids Verhalten das gezeigt. Doch Gott zog sein Versprechen nicht zurück. Sein Angebot blieb bestehen. Er hatte seine Meinung nicht geändert.
Im Grunde ging es hier auch gar nicht um David, sondern um Gottes bedingungsloses »Ja«. Es ist und war schon immer die Geschichte einer Gnade, die keine Grenzen kennt. Gnade ist größer als Sünde. Sogar größer als die Sünden, die König David beging.
Wenn wir den dritten Akt von Davids Leben schreiben müssten, würden wir ihn mit großer Sicherheit anders gestalten, als er sich tatsächlich darstellte. Der größte Unterschied zwischen den beiden Versionen würde vielleicht Batseba betreffen. Würden wir sie unfruchtbar bleiben lassen, als Strafe dafür, dass sie ihren ersten Mann betrogen und mitgeholfen hatte, den Mord an ihm zu vertuschen. Vielleicht würde in unserer Geschichte die Trauer über den Tod ihres Kindes sie in die Selbsttötung treiben.
Das würde unseren Gerechtigkeitssinn befriedigen. Doch nichts dergleichen geschah. David und Batseba bekamen ein zweites Kind, einen Sohn. Sie nannten ihn Salomo. Er folgte seinem Vater als Israels dritter König auf dem Thron und führte sein Land in Israels Goldenes Zeitalter. Er ließ den Traum seines Vaters Wirklichkeit werden und baute den Tempel. Viele Menschen halten ihn für den weisesten Mann, der jemals auf dieser Erde gelebt hat. Als Krönung hat er auch noch drei Bücher der Bibel verfasst.
Ist das nicht verrückt? Wenn sein Vater nicht gesündigt hätte, wäre Salomo niemals geboren worden. Man könnte sogar mit Fug und Recht behaupten, dass Salomo niemals hätte geboren werden sollen. Aber er kam auf die Welt, und nicht nur das, er war auch der Sohn, den Gott auserwählt hatte, um das Erbe anzutreten, das Gott seinem Vater David verheißen hatte.
Das ist Gnade. Unverdiente, nicht erarbeitete, unerwartete, unerklärliche, unglaubliche Gnade. Gott hält sein Versprechen den Menschen gegenüber. Auch wenn der Mensch seine Versprechen bricht, bleibt Gott sich und den Menschen treu.
Zwischen Davids und unserem Leben gibt es vermutlich kaum Berührungspunkte, doch eins haben wir alle mit ihm gemeinsam.
Wir alle haben Gottes Gnade herausgefordert. Wir alle haben versagt, Gott zu vertrauen. Mit seinen Segnungen sind wir verantwortungslos umgegangen. Wir meinten, eine Sünde beichten zu müssen, nur um sie gleich wieder zu begehen. Das sind so Momente, in denen ich mich frage: »Wie oft denn noch?« Wie oft kann ich von Gott erwarten, dass er mir immer wieder die gleiche Sünde vergibt?
Ich nehme an, jeder von uns hat sich schon gefragt: Wie groß muss die Sünde sein, mit der die Gnade am Ende ist?
Davids Geschichte macht klar: Gnade hört nie auf. Rund 1000 Jahre später sagt ein Mann, der von sich behauptet:
… einen größeren Sünder als mich gibt es nicht!
1. Timotheus 1,15; Neue Genfer Übersetzung, 2011
etwas ganz Ähnliches aus. In seinem Brief an die Christen in Rom formulierte er es so:
Und das Gesetz? Es kam erst nachträglich hinzu. Seine Aufgabe war es, die ganze Tragweite der Verfehlung deutlich werden zu lassen. Und gerade dort, wo sich die Sünde in vollem Maß auswirkte, ist die Gnade noch unendlich viel mächtiger geworden.
Römer 5,20; Neue Genfer Übersetzung, 2011
Genau diese Erfahrung hat David gemacht.
Davids Sünde hat das Ausmaß von Gottes Gnade auf so dramatische Weise offenbart, dass Matthäus, dem die Sünde selbst nicht fremd war, nicht widerstehen konnte, in Jesus Stammbaum auf dieses dunkle Kapitel in Davids Geschichte anzuspielen.
In seiner Ahnenreihe, die fast ausschließlich männliche Vorfahren enthält, erinnert er seine Leser an Davids Fehltritt:
Salmon heiratete Rahab, ‹eine ehemalige Hure›. Von ihm stammte Boas ab, der Vater Obeds – die Mutter war Rut, ‹eine Moabiterin›. Von Obed stammte Isai ab, und der wurde der Vater von König David. David war der Vater Salomos – dessen Mutter aber die Frau Urijas.
Matthäus 1,5-6; Neue evangelistische Übersetzung, 2025
Salomos Mutter war Batseba, die Witwe des von David ermordeten Uria. Warum erwähnt Matthäus ausgerechnet ein Ereignis aus Davids Leben, das man am liebsten unter den Teppich kehren würde.
Ich glaube, für ihn war dieses Detail wichtig für die Geschichte, die er erzählen wollte. Matthäus hatte der Mensch gewordenen Gnade Auge in Auge gegenübergestanden. In Jesus sah er die Gnade, die David erfahren hatte. Jesus war die Gnade, die die Sünde in ihrem ganzen Ausmaß auffangen konnte.
Ganz egal, was du getan hast,
egal, wie weit du vom Weg abgekommen bist,
egal, wie lange es her ist, dass du dich direkt an Gott gewandt hast,
egal, was man dir erzählt hat,
egal, wie du dich fühlst:

Die Gnade wartet auf dich. Gnade, die unendlich größer ist als all deine Sünde!